Palais, Palais., Wien

„Die Palais erzählen eine siebenhundertjährige Geschichte.“

Wien: In zwei traditionsreichen Palais in der Herrengasse kann man jetzt zeitgemäß wohnen.

Viel haben sie erlebt, die Palais in der Herrengasse: adlige Bewohner, die Nutzung als Hotel oder in jüngster Zeit als Redaktionssitz der Tageszeitung „Der Standard“. Heute darf im Palais Trauttmansdorff und im Palais Batthyány-Strattmann wieder gewohnt werden – zumindest in den Obergeschossen. Der Architekt Martin Mittermair spricht über die Faszination alter Mauern und die Integration von modernem Komfort.

Wie war es, in das historische Innenleben der Palais einzutauchen – gab es Überraschungen?

Martin Mittermair: Die umfassende, fast zweijährige Untersuchung der Bausubstanz der beiden Palais Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff brachte tatsächlich viele Überraschungen ans Tageslicht. Die Herrengasse im Zentrum Wiens entspricht in ihrem Verlauf der römischen Heerstraße des 1. Jahrhunderts n. Chr. als Verbindung zwischen Kastellen und Legionslagern. In den Kellergewölben der Palais wurde beispielsweise eine Spolie* einer römischen Grabädikula gefunden, die heute im Prunkstiegenhaus des Palais Trauttmansdorff einen besonderen Platz gefunden hat. Oder, um ein Beispiel aus der Barockzeit zu nennen, erstrahlt im Palais Batthyány-Strattmann heute das einzigartige oktogonale Stiegenhaus, das Fischer von Erlach zugeschrieben werden konnte, wieder in neuem Glanz. Die beiden Palais erzählen eine siebenhundertjährige Geschichte über Architektur, Gesellschaft und Politik, die sich in einer Vielzahl von baulichen Transformationen manifestiert. Mein Ziel war es von Anfang an, die historischen großzügigen Raumfolgen wieder erlebbar zu machen. Das bedeutete auch, bewusste Rückbauten baulicher Veränderungen aus dem 20. Jahrhundert vorzunehmen.

Ist die Gestaltung der Apartments eine Rekonstruktion des historischen Vorbilds?

Martin Mittermair: Die Gestaltung der Apartments ist keine Rekonstruktion, da glücklicherweise die Prunkräume im Palais Trauttmansdorff beinahe vollständig erhalten waren und daher ganzheitlich unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten restauriert werden konnten. Erforderliche technische Einbauten, die einem heutigen modernen Komfort geschuldet sind, wurden beinahe unsichtbar in die historische Substanz integriert. Räumliche Erweiterungen der Prunkräume und alle weiteren 21 Apartments artikulieren sich selbstständig und zeitgemäß in gestalterischer Sprache auf Basis des historischen Bestands.

Wie vereint man die historische Substanz mit den hohen Ansprüchen an modernen Komfort?

Martin Mittermair: Die Vereinigung historischer Substanz mit unseren heutigen Ansprüchen an Komfort erfordert eine umfassende präzise Planung und höchstes handwerkliches Können. So wurden zum Beispiel die neuen Fenster exakt entsprechend historischer Profilierung ausgeführt, in deren Abmessungen moderne Beschlagstechniken integriert und heutigen Erfordernissen entsprechende Isolierverglasungen eingesetzt wurden. Die sichtbaren Fenstergriffe wurden jedoch nach historischen Vorbildern neu gegossen. Heiz- und Kühlgeräte, alle Elektroinstallationen, Datenleitungen etc. wurden in den Prunkräumlichkeiten vollständig integriert, ohne sichtbar zu sein. Dafür mussten die historischen Wandvertäfelungen behutsam entfernt und nach der Montage der technischen Systeme wieder angebracht werden.

Ist das typisch Wien, das Wohnen in einem Palais?

Martin Mittermair: Wohnen in Palais ist auch in Wien außergewöhnlich. Die überwiegende Anzahl der Wiener Palais werden von öffentlichen Institutionen und Ministerien als Büros und Repräsentationsräume genutzt. Erfreulicherweise hat der Eigentümer, die Karl Wlaschek Privatstiftung, die Gelegenheit wahrgenommen, die beiden Häuser wieder der Öffentlichkeit in Form von Mietwohnungen zu Verfügung zu stellen – ganz im Sinne des Stiftungszwecks: Begünstigung der Allgemeinheit und Erhaltung denkmalgeschützter und bedeutsamer Gebäude für das Stadtbild.

* Spolien sind Überreste aus Bauten älterer Kulturen, die in neueren Bauwerken wiederverwendet wurden.

Bilder Rohzustand: © Stefan Oláh

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